„Herr Nuhr, Sie sind kein Komiker, politisches Kabarett ist Arbeit im Herzen der Demokratie“. Bundesverfassungsrichter Peter Müller.

Essen, 6. Juni 2023

„Herr Nuhr, Sie sind kein Komiker, politisches Kabarett ist Arbeit im Herzen der Demokratie."

 Peter Müller.

Eine Diskussion zwischen Bundesverfassungsrichter Peter Müller und Dieter Nuhr. Eine Veranstaltung der Brost-Stiftung auf Zeche Zollverein am 6. Juni 2023

English version below

Von links: Ulrike Demmer, Bundesverfassungsrichter Peter Müller , Dieter Nuhr, Bodo Hombach ©Brost Stiftung

Darf man in Deutschland noch frei seine Meinung sagen? Ja man darf und so geschehen am gestrigen Abend im Brost-Pavillon auf Zeche Zollverein in Essen. Wer seine Meinung seit Jahren frei kund tut, ist Kabarettist Dieter Nuhr. Aber inwieweit darf ein Richter öffentlich über Meinungsfreiheit diskutieren? Am gestrigen Abend war unsere Redaktion an einem wirklich bedeutenden Abend zugegen, als Richter am Bundesverfassungsgericht Peter Müller mit dem beliebten Kabarettisten Dieter Nuhr über die Frage diskutierte „Das wird man wohl noch sagen dürfen?! Über die Meinungsfreiheit in Deutschland und dem Ruhrgebiet.“ Die Moderation machte Journalistin Ulrike Demmer, frühere stellvertretende Sprecherin der Bundesregierung. Der Verfassungsrichter stellte ganz am Anfang der Diskussion das normative Recht auf Meinungsfreiheit hervor. Peter Müller und Dieter Nuhr zeigten sich aber tief besorgt um die eingeschränkte Debattenkultur aufgrund Etikettierung und Cancel Culture, insbesondere um das Fehlen einer Migrationsdebatte.


Wirklich dankbar muss man der Brost-Stiftung sein, die sich diesen Abend ausgedacht hat. Neben klassischer Kunstförderung hat sie in den vergangenen Monaten soziale Projekte auf den Weg gebracht, wie „Jungs aus dem Pott“ mit Hajo Schumacher, sowie eine Naturschutz-Initiative mit Reinhold Messner.


Normativ ist das klar

Gleich zu Beginn der Diskussion führte Peter Müller aus, dass die normative Vorgabe eindeutig sei. Meinungsfreiheit sei unverzichtbar für Demokratie. Die Auseinandersetzung über den jeweiligen Weg würde überlagert oder ersetzt durch moralisierende Argumente. Diese, und auch polemische oder abwegige Argumente, würden von der Meinungsfreiheit gedeckt. Um dies zu verdeutlichen, nahm er auf die Coronazeit Bezug. Nicht jeder, der mit bestimmten Regelungen nicht einverstanden war, sei ein Corona Gegner. Nicht jeder, der über Ausländerkriminalität klagt, wäre ein Ausländerfeind. Nicht jeder, der wie er die Rechtsvergessenheit der Europäischen Union beklage, sei ein Europagegner. Man würde aber heutzutage sofort in eine Ecke gestellt.


Eine besondere Machtposition

Dieter Nuhr gab zu, dass er noch nie das Gefühl gehabt habe, seine Meinung nicht sagen zu dürfen, was aber daran läge, dass er eine besondere Machtposition habe. Das Publikum zeigte sich erstaunt, als er ausführte, dass es in der ARD weite Kreise gäbe, die ihn unterstützten. In den vergangen 12 Jahren seiner Sendung habe er niemals Anweisungen erhalten. Wenn jedoch heute ein junger Mensch seine Einstellung hätte, würde er niemals auftraten können, und schon gar nicht eine eigene Sendung erhalten. Allerdings sei in Teilen der Gesellschaft ein Bild erzeugt worden, das ihn unmöglich mache. So sei er kein Klimaleugner, kein Coronaleugner und schon gar nicht ausländerfeindlich. Verwundert habe ihn allerdings, dass er einen Kunstpreis in Bochum nicht erhalten habe unter Bezugnahme auf eine negative Äußerung gegen Greta Thunberg, die er gemacht hatte.


Wer ist die Mainstream-Polizei?

Dieter Nuhr meinte auf diese Frage von Ulrike Demmer, dass man in Deutschland nicht über Migration diskutieren könne. Man würde Diskussion mit moralischen Argumenten unterbinden und Menschen mit Etiketten belegen, um sie aus der Diskussion auszuschließen. Er mit seiner Machtposition habe nichts zu befürchten, aber für andere Menschen sei dies nicht möglich.


Auch Peter Müller steuerte bei, dass in diesen Fällen durch Diskreditierung und vorgeschobenen Pseudoargumenten die notwendige Auseinandersetzung verhindert würde.


Die AFD

Weiter nahm Peter Müller auf die Debatte über die Umfragewerte der AFD Bezug, die im Wege wechselseitiger Schuldzuweisung stattfinden würde. Keiner würde über die Frage sprechen, ob die hohen Werte daher stammen könnten, dass das, was die Menschen umtreibt, kein Thema in der offiziellen Politik mehr sei. 


Es gibt keine Debattenkultur, weil sie durch Etikettierung unterbunden wird

Dieter Nuhr führte aus, dass die Debatte über Migration nicht aktiv unterbunden würde, sie fände einfach nicht statt. Sie würde in den rechten Medien und in sozialen Medien geführt. Wir befänden uns in einer Lage, die viel prekärer sei, als wir wüssten, weil sie in den Medien überhaupt nicht vorkommt. Dies sei aber nicht neu. Der Spiegel habe früher nicht wahrheitsgemäßer berichtet als heute, nur heute käme es heraus.


Das Problem am öffentlich-rechtlichen Rundfunk sei auch, dass es keinen konservativen Talkmaster gäbe, sodass die Menschen das Gefühl hätten, sie würde nicht mehr gehört. 


Was nun?

„Herr Nuhr, Sie sind kein Komiker, politisches Kabarett ist Arbeit im Herzen der Demokratie“.

Peter Müller wünschte sich. „Wir müssen zurück zum Schlagabtausch mit offenem Visier der Demokraten.“ Und weiter „Aber wir beobachten zunehmend eine Diskrepanz zwischen normativem Recht und Rechtswirklichkeit.“


Laut aktuellen Umfragen sehen 52 Prozent der Deutschen das Recht auf Meinungsfreiheit bedroht.

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English version

"Mr Nuhr, you are not a comedian, political cabaret is work at the heart of democracy". Peter Müller. A discussion between Federal Constitutional Court Judge Peter Müller and Dieter Nuhr. An event of the Brost Foundation at Zeche Zollverein on 6 June 2023.


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Are people still allowed to speak their minds freely in Germany? Yes, one may, and that is what happened yesterday evening in the Brost Pavilion at Zeche Zollverein in Essen. One person who has been expressing his opinion freely for years is cabaret artist Dieter Nuhr. But to what extent is a judge allowed to publicly discuss freedom of opinion? Yesterday evening, our editorial team was present at a really important evening when Judge at the Federal Constitutional Court Peter Müller discussed with the popular cabaret artist Dieter Nuhr the question "I guess one is still allowed to say that! On freedom of speech in Germany and the Ruhr region." The moderation was done by journalist Ulrike Demmer, former deputy spokesperson of the federal government. The constitutional judge emphasised the normative right to freedom of opinion at the very beginning of the discussion. Peter Müller and Dieter Nuhr, however, were deeply concerned about the limited debate culture due to labelling and cancel culture, especially the lack of a migration debate.


One really has to be grateful to the Brost Foundation, which came up with this evening. In addition to classic art promotion, it has launched social projects in recent months, such as "Jungs aus dem Pott" with Hajo Schumacher, as well as a nature conservation initiative with Reinhold Messner.


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Normatively clear

Right at the beginning of the discussion, Peter Müller said that the normative requirement was clear. Freedom of opinion is indispensable for democracy. The debate on the respective path would be overlaid or replaced by moralising arguments. These, as well as polemical or aberrant arguments, are covered by freedom of expression. To illustrate this, he referred to the Corona period. Not everyone who disagreed with certain regulations was a Corona opponent, he said. Not everyone who complained about foreigner crime would be a xenophobe. Not everyone who, like him, complained about the European Union's forgetfulness of the law was an opponent of Europe. But nowadays one would immediately be put in a corner.


A special position of power

Dieter Nuhr admitted that he had never had the feeling that he was not allowed to speak his mind, which was due to the fact that he was in a special position of power. The audience was astonished when he explained that there were wide circles in ARD that supported him. In the past 12 years of his broadcasting, he had never received any instructions. However, if a young person had his attitude today, he would never be able to perform, let alone get his own programme. However, an image has been created in parts of society that makes him impossible. He was not a climate denier, not a corona denier and certainly not xenophobic. However, he was surprised that he was not awarded an art prize in Bochum because of a negative statement he had made against Greta Thunberg.


Who are the mainstream police?

In response to this question from Ulrike Demmer, Dieter Nuhr said that one could not discuss migration in Germany. People would stop discussion with moral arguments and put labels on people to exclude them from the discussion. He, with his position of power, had nothing to fear, but for other people this was not possible.


Peter Müller also contributed that in these cases discrediting and pretended pseudo-arguments would prevent the necessary discussion.


The AFD

Peter Müller went on to refer to the debate about the AFD's poll ratings, which would take place by way of mutual apportionment of blame. No one would talk about the question of whether the high values could stem from the fact that what was bothering people was no longer an issue in official politics. 


There is no debate culture because it is prevented by labelling

Dieter Nuhr argued that the debate on migration was not actively prevented, it simply did not take place. It was conducted in the right-wing media and in social media. We are in a situation that is much more precarious than we know because it is not in the media at all. But this is not new. Spiegel used to report no more truthfully than it does today, only today it comes out.

The problem with public broadcasting is also that there is no conservative talk show host, so people feel they are no longer being heard. 


What now?

"Mr Nuhr, you are not a comedian, political cabaret is work at the heart of democracy".

Peter Müller wished. "We have to go back to the repartee with open sights of the democrats." And further "But we increasingly observe a discrepancy between normative law and legal reality."

According to recent polls, 52 per cent of Germans see the right to freedom of expression under threat.


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